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Nachgefragt bei Frank Reich

Typisch Potsdam
  • Erstellt: 24.02.2018 / 08:48 Uhr von at
Meetingpoint traf sich mit Frank Reich, Geschäftsführer des Landesverband Freier Theater Brandenburg e.V., um mehr über die Situation und Arbeit der Freien Theater im Land zu erfahren.

Seit wann spielt Theater eine Rolle in Deinem Leben?
Ich bin spät Vater geworden. Ein Glücksumstand. Auch aus diesem Grund erinnerte ich mich, dass ich 1965 im Weihnachtsmärchen „Hänsel und Gretel“ zum ersten Mal im Theater gewesen bin. Im Hans-Otto Theater, mit meiner Mutter. Die Hexe war ein Mann (Hans Joachim Stelzer) und flog mehrmals, singend durch das dunkle Bühnenbild. Ich war in der ersten Klasse. Seitdem vergesse ich das Bild und auch die Musik nicht.
Ich bin in Potsdam groß geworden. Wir waren oft in meiner Schulzeit in unserem Stadttheater. Ich war in meiner Klasse der Theaterobmann. Ich hatte ein Vokabelheft, in dem ich ordentlich die eingenommenen Eintrittsgelder festhielt. Damit ging ich zur Theaterkasse auf dem Broadway und dort kaufte ich für alle, die mit wollten, die Karten. Mein beeindruckendsteses Theaterstück war „Die neuen Leiden des jungen W.“ mit Thomas Neumann als Edgar Wiebeau. Ein junger schwer pubertierender Mann, der Goethes „Die Leiden des jungen W.“ gelesen hat und mit aller jugendlichen Kraft und Entschiedenheit vor grundsätzlichen Problemen seiner zutage tretenden Selbstbestimmtheit steht. Und bei der Verwirklichung einer Idee stirbt. Das Stück war wochenlang Gesprächsthema.

Warum brauchen die Freien Theater einen Verband?
Im Verband organisieren sich Interessen. Es gibt finanzielle Interessen aber auch Interessen zum Selbstverständnis. Also nach innen wie auch nach außen. Dazu kommt das Interesse sich optimal zu informieren und auszutauschen. Der Verband wächst, wir sind jetzt 26 Mitglieder.
Wir hatten am Anfang große Status- und Anerkennungsprobleme. Die spielen auch Theater, hieß es immer wieder. Dazu kamen die Probleme der Kommunen, wie auch des Landes Brandenburg mit „freiwilligen Leistungen“ aufgrund schwierigster Haushaltslagen. Es wurden z.B. in Frankfurt/O das Musiktheater und das Schauspiel abgewickelt, in Brandenburg/H war es ähnlich. Da wurden mehrere hundert Künstler entlassen. Wir haben uns von Anfang an als Gegenbewegung verstanden. Als mündige, sich einmischende Akteure mit hohem Selbstorganisationsgrad. Das war ungewohnt. Hat sich aber durchgesetzt.

Die Entwicklung des Vereins von Beginn kurz zitiert.
Mit dem friedlichen Zusammenbruch der DDR setzte eine komplette Neustrukturierung der Brandenburger Theaterlandschaft ein. Die aus der DDR stammenden Verpflichtungen kleinere Städte mit zu bespielen, fiel komplett weg. Als „neue“ Gegenbewegung „mündiger Bürger“ gab es Selbstgründungen von Freien Theatern als Künstlerkollektive. Diese bespielen mittlerweile, neben den großen Städten, fast das gesamte Land Brandenburg. Alle relevanten Theater organisierten sich 1995 im Landesverband Freier Theater Brandenburg. Wir funktionierten anfangs ehrenamtlich. Seit 1998 werden wir mit der Geschäftsstelle gefördert. Sie ist mit einer Person besetzt. Wir hatten im Jahr 2016 (2017 wird gerade abgefragt) 197.384 Zuschauer in 2151 Vorstellungen in 74 Brandenburger Städten. Das sind ziemlich genau ? der erfassten Brandenburger Theaterbesucher.

Welche Rolle spielt das Theater auf dem Land/ in der Stadt?
Neben Arbeit, Einkaufen und regenerieren durch Schlafen ist der Mensch auch ein gesellschaftliches Wesen. Er ist gezwungen sich öffentlich zu verhalten und zu organisieren. Privat und öffentlich. Und öffentlich, wenn es irgend geht zum Gemeinwohl. Das öffentliche Leben kann man sich vorgeben lassen. Man kann aber auch versuchen, es selber zu gestalten. Aktiv durch Angebote diskursiver Meinungsbildung oder auch Abwägung.
Gerade in kleineren Städten muss, nachdem in den letzten Jahren massiv in Infrastrukturen und Gebäude investiert wurde, aktive Urbanisierung betrieben werden. In den sanierten Innenstädten muss es neben Orten für individuelle Bedürfnisse, Orte für Gruppenerlebnisse geben. Orte in denen selbstorganisierte Aktivitäten interessierter Bürger möglich sind. Austausch von Waren genauso wie von Nachrichten und auch Hilfe zur Selbsthilfe Möglichkeiten. Das schließt neben sozialen, politischen selbstverständlich auch künstlerische Betätigung ein. Dazu gehört die örtliche Theatergruppe wie auch das von auswärts kommende Gastspiel. Dazu ist öffentlicher Raum auch da. Es muss multifunktionale Infrastrukturen geben: Plätze (Marktplätze) wie auch Gebäude. Im Theater ganz platt, kann man sehen wie sich Leute gekonnt oder nicht gekonnt, die Blöße geben. Man kann aber in dem Spiel auch Ebenen finden, in denen man eigenes Handeln wiedererkennt oder das Handeln anderer. Das ist dann spannend. Und im Theater kann man sich die Welt erzählen lassen. Es erweitert den Horizont und ist ein Angebot nicht allein zu sein mit seinen Träumen, Ängsten und manchmal auch kleinen Sehnsüchten. Das belebt in der Kleinstadt genauso wie in der Metropole.

Wie sieht ein normaler Arbeitstag aus?
Ich überfliege morgens die Brandenburger auf uns bezügliche Neuigkeiten (Zeitungen und online Informationen). Dann checke ich die E-Mails. Beantworte diese, falls nötig, sofort. Dann arbeite ich meine To-Do-Liste ab. Ich nehme relevante Termine war und beteilige mich an Diskussionen. Ich informiere regelmäßig den Vorstand und die Mitglieder über Anliegendes und Abgearbeitetes.
Ich sitze regelmäßig an Texten für Veröffentlichungen. Zu Letzt für das Altstadtmagazin der AG Städte mit historischen Stadtkernen. Ich erstelle einmal im Jahr eine Darstellungsbroschüre mit den Aktivitäten aller Verbandsmitglieder und erstelle auch einmal im Jahr die Jahresstatistik. Wir beantworten regelmäßig Gastspielanfragen und vermitteln Theater. Dazu führe ich auf Nachfrage Coachings durch. Um gerade Neuanfängern das ein mal eins der Antragstellung, der Positionierung in der Region und des strukturierten Arbeitens beizubringen.
Ich sammele Probleme und Bedarfe, die wir qualifiziert z.B. dem MWFK und der Landeskulturpolitik in partizipativen Diskussionsformaten vortragen. In diesen Runden werden dann Probleme abgewogen und gemeinsame Ziele vereinbart. Dadurch erreichten wir z.B. vor 2 Jahren eine wesentliche Erhöhung der Förderung Freier Theater in Brandenburg.
Wir haben. Z.B. im letzten Jahr mit Bundeshilfe ein Weiterbildungsangebot, eine „Akademie“ ins Leben gerufen. Sie wandert jetzt 2 jährig durch die Bundesrepublik. Der Start war im letzten Jahr, ein 2 tägiges Workshop und Qualifizierungsprogramm in Potsdam.

Schneewittchen, Pettersson, der kleine Eisbär; Murmels Reise & Co – politisches Theater heute passé? Gibt es noch eine Auseinandersetzung mit aktuellen Themen oder wird in Potsdam die Zielgruppe Familie vorrangig bedient?
Potsdam hat mit der Schiffbauergasse, dem dort angesiedelten Hans-Otto-Theater, der fabrik Potsdam, dem T-Werk, dem Theaterschiff und der Company vom Waschhaus ein Theaterkomplex, der sehr viel anbietet. Dazu kommen über die Stadt verteilt das Poetenpack, Kombinat, Theater Nadi, Laura Heinicke,dem NEUEN GLOBE THEATER, den Theatergruppen des Offenen Kunstvereins, dem Kabarett, dem Rathaus Babelsberg mit seinen sonntäglichen Kinderstücken, Loccys Clownstheater eine fast unüberschaubare Theaterlandschaft. Ich habe gewiss einige vergessen.
Ein Hauptthema im Gegenwartstheater ist die Hilflosigkeit des zu Selbstbestimmung gezwungenen modernen Menschen. Selbstbestimmtheit ist das Versprechen der Moderne. Wie kann man sich heute optimal konditionieren? Wie kann man, allein auf sich zurückgeworfen, fair bleiben. Und woher kommt Unrecht und ist unrechtmäßiges Handeln reparierbar. Woher kommt der unstillbare Drang nach Macht über andere? Wie geht man mit dem Gefühl verloren zu haben um? Gibt es überhaupt noch Schamgrenzen? Dazu bedarf es starker Geschichten.
In Potsdam mit seinen unüberschaubar vielen und gut eingerichteten Milieus ist es schwer für ein breiteres Publikum Theater zu machen. Die Milieus richten sich komfortabel ein und grenzen sich zunehmend ab. Kleine hochpotente Gruppen sind immer wieder meinungsbildend. Gelegentlich eine Klammer, Milieuübergreifend über die Stadt, zu machen, ist auch eine Aufgabe des Stadttheaters. Im Kinder- und Jugendtheater funktioniert es über rekrutierbares Publikum. Da fungieren Lehrer und Erzieher als „Multiplikatoren“. Familienprogramme funktionieren in der Weihnachtszeit. Und Lebensverläufe sind nicht vorhersehbar. Deshalb vergewissert man sich seit Jahrhunderten, auch mit den Mitteln des Theaters, um sich mit einmal gemachten Erfahrungen und Erwartungen zu wappnen.

Geht man selbst noch gern in das Theater und welches war das schönste Stück der letzten Jahre?
Ich gehe fast wöchentlich ins Theater und sehe viel handwerklich sauber gearbeitetes Theater. Höhepunkte der letzten Jahre waren „Shakespeare Sonetten“ von Ton und Kirschen, „Hafthaus“ von theater89, „Der allerneueste Erziehungsplan“-ein Kasperstück nach Kleist vom Theater des Lachens und letztens „GIFT“ vom Poetenpack. Es gibt hoffnungsvollen Tanznachwuchs in Potsdam und Cottbus und Puppentheater wird auch langsam wieder heimisch in Brandenburg. Das eindringlichste Erlebnis in einem Brandenburger Theater der letzten Jahre war Zora Klostermanns Gretchen im Urfaust. Sie spielte das Gretchen, dem nach der Verführung schlagartig klar wird, dass sie ab nun lebenslang stigmatisiert ist. Und natürlich die Festivals: Tanztage, Unidram und Osthafen.

Wo gibt es Theater zum Mitmachen? Was bringt einem das?
Im Theater kann man sich als Zuschauer oder als Akteur, passiv oder aktiv in „Lebensspielsituationen“ bringen. Das hat auch therapeutische Funktionen, für beide. Die Freude und das Mitleiden beim Zuschauen sind so alt wie das menschliche Wesen. Es muntert auf und hilft Alltag zu ertragen.
Theater steht zunehmend in Konkurrenz zu allen anderen Erzählformen, Künsten, Medien und neuerdings auch allen Formen von Handyaktivitäten. Das Erlebnis unmittelbar, leibhaftig, mit allen eigenen Sinnen am, möglichst spannenden Geschehen teilhaben zu können ist der Reiz. Um Gut und Böse, Verlierer und Gewinner, Verführte und Betrogene. Der Erkenntnisgewinn schult. Ob im Job oder im nie aufhörenden Spiel um Macht, Gunst und Liebe.

Welche Wünsche hat ein Geschäftsführer der freien Theater an die Politik der Stadt und des Landes?
Ich wünsche mir, dass politisch auf allen Ebenen begriffen wird, dass es zum gesellschaftlichen Zusammenhalt nötig ist, sich zu versammeln und auszutauschen. Es ist nötig sich persönlich zu erleben, auseinanderzusetzen und auch nach Erfolgen zu feiern. In der Stadt und im Stadtteil und auch in der kleineren Kommune. Dafür muss es Strukturen und öffentliche Orte geben. Im Dialog, gemeinsam, auch streitend und natürlich auch genießend. Es geht im politischen, sozialen, ökologischen und auch im künstlerischen um Formen von Austausch und Gruppenerlebnis. Geglückte persönliche Kommunikation hat immer auch einen persönlichen Mehrwert. Es geht darum Gemeinsamkeiten zu artikulieren und gemeinschaftlich zu handeln um schwindendem Zusammenhalt entgegenzuwirken. Ist der einzelne wirklich potenter als eine Gruppe, ist er das Maß aller Dinge? Bestimmen wir unsere Lebensumstände oder dressiert uns das Handy?

Hast Du selbst mal versucht, Theater zu spielen?
In der Schule hatten wir im neben dem Hort befindlichen Betriebskulturhaus eine Puppentheatergruppe. Dort spielte ich den Hans in dem Stück von Heinrich Hoffmann. Heute würde man, das Performance nennen. Dann war ich in der Oberstufe Theaterobmann der Klasse. Nach meinem Wehrdienst musste ich mein völlig geplättetes Leben neu sortieren, um wieder einmal durchzustarten. Da kam von Bekannten die Frage, ob ich in einer Puppentheatergruppe die Vertretung für einen abgängigen Spieler einnehmen könnte. Ich fühle mich in Gruppen, in die ich mich einbringen kann, wohl. Wir kamen schnell an handwerkliche Grenzen und organisierten uns, mit Hilfe der Stadt Potsdam und dann auch dem Bezirk Potsdam, Weiterbildungen. Dann ergab sich die Möglichkeit einer zweijährigen Ausbildung zum künstlerischen Leiter eines Amateur Puppentheaters am Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig. Wir hatten tolle Dozenten, von der Uni Leipzig und von der Ernst-Busch Hochschule in Berlin.
Dann kam der Zusammenbruch der DDR. Mit ihm lösten sich ja fast alle Strukturen auf. Es entstanden aber auch neue. Wir gründeten einen Verein um Theater zu spielen und auch um gefördert werden zu können. Ich spielte nun Zaren und Popen, aber dann auch in einem Peter Weiss Stück eine Traumebene mit Puppen. Beim Abbauen der Bühne in einem besetzten Haus in der Potsdamer Innenstadt, wurde ich gefragt, ob ich nicht in der Fabrik eine Stelle als Öffentlichkeitsarbeiter und Spielstättenleiter antreten wolle. Ich sagte zu und damit begann mein Abschnitt im administrativen Teil des Theaters. Wir begannen uns über die Stadtgrenzen mit Gleichgesinnten im ganzen Land Brandenburg als Interessenvertretung zu organisieren. Das war 1995. Seit 1998 hat der Landesverband mit mir eine besetzte Geschäftsstelle. Aus zeitlichen Gründen ist es mir nicht möglich noch selber Theater zu spielen. Aber vielleicht, wenn ich mal den Ruhestand erlebe.

Zum Schluss: Theater ist für mich …...?
Theater ist für mich ein Sehnsuchtsort. Anderen beim Spiel um Alles zuzusehen, entspannt. Spannend wird es, wenn zwischen dem Vorgespielten und dem Eigenen Verbindungen und Resonanzen entstehen. Wenn einem ein Licht oder eine Emotion aufgeht, wenn man eine kräftige Bestätigung eines Glücks wie auch eines Schmerzgefühls oder einer Sehnsucht erfährt.

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