Im Interview mit der Bürgerinitiative Potsdamer Norden spricht Prof. Andreas Knie, Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin, Klartext: Angesichts sinkender Fahrleistungen und stagnierendem Güterverkehr sieht er keinen Grund mehr für den Neubau großer Straßeninfrastrukturprojekte wie die geplante Rastanlage an der A 10 bei Potsdam. „Es kann daher keine Neubauten geben“, so Knie. Stattdessen müsse das knappe Geld in die Sanierung bestehender Straßen und Brücken fließen, denn vielerorts zerfällt die Infrastruktur bereits.
Bürgerinitiative Potsdamer Norden hat folgendes Interview veröffentlicht:
Die Autobahn GmbH plant an der A 10 bei Potsdam den Neubau einer rund 30 Hektar großen Tank- und Rastanlage. Das Mammutprojekt soll die Raststätte Wolfslake ersetzen. Was sagen Sie zu solchen Bauprojekten?
Prof. Knie: "Es ist immer dasselbe Thema: Wachstum. Versiegeln. Frevel an der Natur. Bis heute werden in Deutschland pro Tag durchschnittlich 35 ha für Verkehrsflächen versiegelt. Es wird gebaut, als gäbs kein Morgen. Baumaßnahmen müssen daher gut begründet sein, und das geht nicht mit dem Argument des zunehmenden Verkehrs. Außerdem werden wichtige Instandhaltungsmaßnahmen an vielen Stellen wegen Unterfinanzierung nicht ausgeführt. Man muss das immer wieder deutlich machen: Ihr gebt Geld aus für Projekte, die nicht zu rechtfertigen sind. Und an anderer Stelle zerbröselt es."
Sie haben sich für ein Moratorium im Straßenbau ausgesprochen. Bezog sich das auf Berlin? Oder meinten Sie auch Brandenburg?
"Ich meinte ganz Deutschland! Wenn man sich die Zahlen anschaut, stellt man fest, dass es schon seit 2016 abnehmende Fahrleistungen gibt. Die Autos werden weniger genutzt, die Entfernungen kürzer, aber auch die Zahl der Fahrten nimmt ab. Die Generation der Boomer, die das Auto so groß gemacht hat, kommt in die Jahre. Die nachfolgende Generation fährt weniger. Das muss sich in der Planung widerspiegeln. Es kann daher keine Neubauten geben!"
Ok, aber die LKW-Zahlen nehmen doch zu?
"Das gilt auch für die LKW-Fahrten. Man kann das an allen Messstellen feststellen. Wir haben eine leichte Zunahme im kleinräumigen Güterverteilverkehr, bedingt durch die Onlinebestellungen. Aber es gab seit 10 Jahren kein großes Wirtschaftswachstum mehr, das den Güterverkehr pushen würde. Auf lange Sicht wird der Lkw-Verkehr noch mehr abnehmen. Das Verkehrsministerium hat da leider eine kulturelle Sperre im Kopf, diese Art zu denken gibt es dort nicht. Dort denkt man in 'höher, schneller, weiter'."
Derzeit werden im Straßenbau auch bei der Autobahn GmbH Gelder gekürzt. Wie schätzen Sie die Situation ein, wenn die Gelder des Sondervermögens bereitstehen? Könnten die Mittel für Bauprojekte wie die Raststätte genutzt werden?
"Zu befürchten ist das natürlich. Aber das Sondervermögen ist jetzt schon völlig überbucht. 150 bis 200 Mrd. braucht alleine die Bahn. Im Straßennetz gibt es marode Brücken und begonnene Bauprojekte. Auch da hat man schon mit Geldern geplant, die gar nicht da waren. Neue Projekte finanzieren zu wollen, wird schwierig. Das Geld wird verdampfen, ohne dass wir es merken. Für solche Peripherieprojekte wie die Raststätte ist einfach nichts da. Die Straßen, die wir haben, zerbröseln jetzt schon, und da kommt in den nächsten zehn Jahren noch einiges mehr auf uns zu. Man muss das Geld nutzen, um den Bestand zu sichern, und auch das geht nur, wenn man es intelligent einsetzt und den Bestand verkleinert. Man muss daher überlegen, wo man Autobahnen abreißen kann."
Argumentiert wird mit der Not der LKW-Fahrer, auch wenn die neue Rastanlage de facto nicht einen neuen Stellplatz schaffen würde.
"Das Problem mit den fehlenden Stellplätzen ist hausgemacht. Eine Maut wäre hilfreich, und zwar eine echte, die dem internationalen Standard entspricht. Dann würde sich auch der LKW-Verkehr deutlich zurückentwickeln."